DREAMBOOK

Buchbesprechungen – keine Verrisse …

Wo Elfen noch helfen

Liebeserklärung an ein Märchenland

Zuerst einmal ist das Buch eine Hymne auf Island – außerdem Psychogramm, Sozialstudie, Reisereportage und Kulturführer in Einem. Mit der Autorin verbindet mich der gleiche Stadtteil in Hamburg und die Faszination für den kleinen nordischen Inselstaat. Sie überzeugt durch intime Kennerschaft und glühende Leidenschaft. Gut geschrieben, mit streckenweise poetischem Wortwitz und vergleichsweise wenigen seichten Stellen oder Längen. Die Schrift ist gut lesbar, das Papier angenehm in der Haptik. Ein leichter Lesegenuss für jede Tages- und Jahreszeit. Ich habe die Lektüre übrigens zu einer Zeit begonnen, die genau mit den beiden Besuchsantritten der Autorin zusammenfällt: Anfang April…

Wo Elfen noch helfen
Warum man Island einfach lieben muss
von Andrea Walter
Diederichs, München 2011
Broschiert, 208 Seiten
ISBN 978-3424350654
EUR 14,99

Die Insel aus Eis und Feuer ist ein Land der Extreme und Extremisten. Die Isländer sagen von sich, dass sie immer den ganzen Weg gehen. Sie sind – mitunter gesellige – Eigenbrödler, die davon überzeugt sind, dass sich die Welt um ihre Insel dreht. Den Mittelpunkt der Erde hat ja bereits Jules Verne unter Island verortet – und solange man selbst daran glaubt, ist es wahr! Über Jahrhunderte haben sie eine kulturelle Eigenständigkeit entwickelt, die in Europa ihresgleichen sucht. Dies fasziniert möglicherweise gerade die Deutschen am meisten, weil Island so vieles hat, was hier verloren gegangen zu sein scheint. Unter anderem das Gottvertrauen und die Gelassenheit.

Man erfährt in dem Buch, warum man sich bei abendlichen Exzessen wortlos davon schleicht, wenn man nicht mehr kann und warum auch am nächsten Tag keine Nachbesprechungen hierzu stattfinden. Warum Regenschirme und zweiradgetriebene Fahrzeuge keine Daseinberechtigung haben und was Matthias Rust und Carlos der Schakal gemeinsam haben. Warum die Isländer eine niedrige Sparquote haben und angstfrei aus dem Vollen schöpfen. Man findet weiter heraus, was nordische Sagen mit Paartherapie zu tun haben und warum Isländer schrullige Museen gründen. Weiter, dass Island die meisten Literaturnobelpreisträger pro Kopf hat – was nicht verwundert, wenn fast jeder Isländer schon mal ein Gedicht oder eine Geschichte veröffentlicht hat.

Ausflüge über die Insel führen die Autorin zu wahren Naturwundern und sagenhaften Landschaften in denen der Zauber von Elfen und Gnome lebendig zu werden scheint. Sie besucht einem Garten Eden und beheizte Meeresbuchten. Sie kommuniziert in heißen Pötten – dem isländischen Pendant zur Sauna – und findet heraus, warum Krimis auf Island ein relativ junges Genre sind und wie die Gefängnisse auf einer Insel funktionieren, wo sich alle Bewohner duzen und die Demokratie vor Jahrhunderten erfunden wurde – unabhängig von den Griechen.

Der sehr gewöhnungsbedürftigen ur-isländischen Gastronomie ist ein eigenes Kapitel gewidmet.
Abgerundet wird das Buch durch Erlebnisse bei Interviews isländischer Promis, wie der ersten weiblichen Präsidentin eines europäischen Landes und dem aktuellen Bürgermeister der Hauptstadt, der bekennender Anarchist, landesweit bekannter Komiker und Begründer der Spaßpartei ist.

Der zweite Teil des Buches beschreibt ihre Rückkehr auf die Insel im vergangenen April, Jahre nach der schweren Wirtschaftskrise von 2008. Ob ihr Island noch wieder zu erkennen ist? Als die Finanzblase noch wuchs, brachte ein Isländer den Wahnsinn auf den Punkt: „Früher haben sich die Mädchen für deine Musik interessiert. Heute wollen sie wissen, ob man einen Privatjet hat.“ Tiefschürfende Erkenntnis nach der Krise: „Geld macht einen Affen aus Menschen.“ Die Autorin schließt das Buch mit der beruhigenden Feststellung: „Island ist immer noch ein Märchenland“

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