DREAMBOOK

Buchbesprechungen – keine Verrisse …

Die drei Sonnen

Wie man in den Wald hineinruft …

Eigentlich bin ich kein SF-Leser; dieses Buch hat mich jedoch vom ersten Moment an in seinen Bann geschlagen. Gerade von einem längeren China-Aufenthalt zurück, erfuhr ich von einem Bekannten am Telefon, dass er sich, einer Empfehlung der Süddeutschen Zeitung folgend, das Buch „Die drei Sonnen“ geholt und in einem Zug durchgelesen hätte. Und, obwohl auch er normalerweise kein Science Fiction liest, so fasziniert davon war, dass er sich gleich den zweiten Band der Trilogie auf englisch geholt hat, da die deutsche Fassung erst im Juni 2018 erscheinen soll. Noch bevor ich den Titel selbst in Händen hielt, erzählte mir ein guter Freund am nächsten Morgen beim Frühstück, dass er gerade einen tollen SF-Roman liest: „Die drei Sonnen“!

Die drei Sonnen: Roman
von Cixin Liu
aus dem Chinesischen von Martina Hasse
broschiert, 592 Seiten
Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (12. Dezember 2016)
ISBN-10: 3453317165
ISBN-13: 978-3453317161
Originaltitel: The Three Body Problem Trilogy Book 1 – Sanbuqu Santi
13,4 x 5 x 20,5 cm
EUR 14,99

Am Tag darauf Familientreffen. Ich frage meinen Bruder, der bei uns in der Familie der SF- und Phantasie-Spezialist ist… Er hatte das Buch selbstverständlich bereits gelesen. Ich konnte kaum noch erwarten, mit der Lektüre zu beginnen. Ein befreundeter chinesischer Physiker, dem ich gleich begeistert von dem Buch erzählte, hatte auch noch nie von Cixin Liu gehört, wusste aber nach kurzer Internetrecherche zu berichten, dass Präsident Obama das Buch als Urlaubslektüre gelesen und auch Marc Zuckerberg es in höchsten Tönen lobte. Auch Denis Scheck hat das Buch bereits besprochen und es als besten SF-Titel der letzten 30 Jahre bezeichnet.

Warum erzähl ich das Ganze? Weil bei mir, wie auch bei Ihnen vielleicht, die Sychronizitäten um eine Geschichte herum, eine bedeutende Rolle spielen. Ich lese eigentlich nur Bücher, die mich förmlich anspringen. Kollegen von mir haben in Länge und Breite die Hardfacts zu diesem Buch abgehandelt; ich möchte mich auf eher persönliche Eindrücke beschränken. Nicht ganz klar ist mir, warum diese Geschichte, die bereits 2006 in einem chinesischen SF-Magazin erschien, erst zehn Jahre später auf englisch und jetzt auf deutsch erscheint. Da wird in den kommenden Jahren wohl noch der eine oder andere literarische Schatz aus Fernost bei uns im Westen auftauchen … siehe Literaturnobelpreis.

Die einzigen SF-Romane, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe, sind „Limit“ von Frank Schätzing und „Amalthea“ von Neil Stephenson. Ähnlich wie „Die drei Sonnen“ sind diese Bücher sehr umfangreich, technogen und drehen sich um die zukünftige Existenz der Menschheit außerhalb unseres Heimatplaneten. Das vorliegende Buch geht in seinen Spekulationen allerdings viel weiter und bezieht die Gesamtheit unseres Handelns auf allen Ebenen ein. Nicht nur erstaunlich die gesellschaftspolitische Rückschau, sondern auch die konsequente Auseinandersetzung mit Astro- und Teilchenphysik in den Grenzbereichen zur Philosophie. Der Autor faltet für uns spielerisch das ganze Universum auch jenseits der Raum-Zeit auseinander. Man hat das Gefühl, durch das ganze Weltall zu blicken und nichts ist, wie wir es zu kennen meinen. Die zwölf Dimensionen von Burkhard Heim scheinen sichtbar zu werden.

Es geht in dem Buch um Spionage, Cyberkrieg, Computerspiele, VR und AR sowie Computer im – aber auch – aus(!) Menschen. Wir bekommen tiefe Einblicke in die chinesische Kultur und die jüngste chinesische Vergangenheit, die ein Großteil der Bevölkerung barfuß und hungernd erlebte. Humanistische Ideale und Umweltbewusstsein hinterfragen den Stellenwert von Wachstum und Wissenschaft – und damit die menschlichen Existenz: Pfeifen im Walde? Es geht ums Ganze, um einen extraterrestrischen Verrat an der Menschheit: Rettung oder Vernichtung? Dabei schafft es Cixin Liu mehrere zeitlich und räumlich scheinbar unabhängige Erzählstränge so zu verweben, dass fast magische Sphären entstehen, in denen alles möglich scheint.

Hier eine typische Passage: „Er erinnerte sich an ein Informatik-Seminar, dass er in seinem dritten Studienjahr besucht hatte. Der Professor hatte zwei große Bilder an die Wand gehängt. Das eine war die Qingming-Rolle, ein berühmtes und äußerst detailreiches Bild auf einer Querrolle aus der Song-Dynastie. Das andere ein Foto, das den nur blauen Himmel mit einem kleinen, kaum wahrnehmbaren Wolkenstreifen zeigte. Der Professor fragte sie, welches der beiden Bilder mehr Informationen enthalte. Es stellte sich heraus, dass der Informationsgehalt des Fotos den der Querrolle um ein bis zwei Größenordnungen übertraf. Sie zeigte reine Entropie.
Mit dem Spiel „Three Body“ verhielt es sich genauso. Ein Großteil seiner Informationen war an der Oberfläche nicht erkennbar. Wang Miao konnte es fühlen, aber nicht klar ausdrücken. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass die Macher von „Three Body“ genau den umgekehrten Weg gegangen waren wie die Entwickler von anderen Spielen. Im allgemeinen ist ein Spieleentwickler darauf bedacht, die Menge an sichtbaren Informationen zu maximieren, damit sein Game möglichst realistisch wirkt. Die Entwickler von „Three Body“ dagegen hatten die sichtbaren Informationen an der Oberfläche nach Kräften reduziert, um die zu Grunde liegende komplexe Realität des Spiels zu verschleiern. So wie auf dieser Fotografie eines scheinbar leeren Himmels.“

Sprachlich ist der Roman eher einfach gehalten; kurze Sätze denen oft eine seltsame Poesie innewohnt. „Er ging zwischen den Kindern hindurch zu der Tür, auf die Ye Wenjie gedeutet hatte. Bevor er eintrat, blieb er stehen. Ein seltsames Gefühl hatte ihn ergriffen. Als befände er sich in einem Traum aus deiner Jugendzeit. Aus den Tiefen seiner Erinnerung tauchte eine prickelnde Empfindung auf – traurig, glitzernd wie Tauperlen am frühen Morgen, und zart rosa.“

Der Roman wird ergänzt durch einen Anhang mit Anmerkungen zu bestimmten Begrifflichkeiten und ein Nachwort des Autors, in dem er sehr authentisch schildert, wie das Buch entstanden ist und welche persönlichen Lebenserfahrungen eingeflossen sind. Ein besonderes Kompliment an Martina Hasse, der mit ihrem Übersetzungs-Marathon die Übertragung einer unglaublich schwierigen und komplexen Materie zu einer farbigen und schlüssigen Geschichte gelungen ist. Gerade wenn man bedenkt, dass es nicht nur darum geht, die Besonderheiten der chinesischen Kultur, sondern auch astro- und quantenphysikalische und philosophische Darstellungen verständlich ‘rüberzubringen. Chapeau!

Die Schrift ist sehr gut lesbar, die Bindung für ein Taschenbuch ganz exzellent. Fast 600 Seiten für schlappe EUR 14,99. Für dieses Buch hätte ich glatt das Dreifache gezahlt und freue mich schon auf die Fortsetzung der Trilogie: „Der Dunkle Wald“. Im Englischen ist der Titel unter dem Namen „The Dark Forrest“ bereits erschienen.

WEITERE REZENSIONEN

DRUCKFRISCH – Dennis Scheck

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