Ein Summen in der Wiese … zum Nachdenken anregend
Insekten besitzen drei Paar Beine.
Ethel Jacobson, Die Welt der Insekten
Richtige Blutgefäße haben sie keine,
uns während die Knochen sonst innen liegen,
liegt ihr Skelett außen, sie schwimmen und fliegen,
ihr dreiteil’ger Leib ist behaart oder kahl,
ihr Herz liegt hinten, für sie so normal,
wie dass sie Millionen von Eiern legen,
und atmen indem sie sich rhythmisch bewegen.
Die Fühler werden fürs Riechen gebraucht,
die Füße zum Schmecken ins Essen getaucht –
und wirklich erstaunlich, was ihnen so schmeckt:
Eine Blume oder ein anderes Insekt,
mal werden Mäntel und Holz benagt,
ein Teppich zerkaut oder Menschen geplagt …
Sie fressen, wobei sie selbst uns nicht verschonen,
und zählen ganz sicher hundert Trillionen!
Alles wird täglich von ihnen zersiebt,
ein Wunder, dass es die Welt noch gibt!
Vor etwa einer halben Milliarde Jahren begann eine schleichende Revolution. Auf dem schlammigen Grund eines urzeitlichen Ozeans machte sich eine Gruppe ebenso seltsamer wie wunderbarer Kreaturen daran, die Welt zu erobern. …“ so beginnt das Kapitel „Insektenimperium“ des Buchs mit dem Originaltitel „A Buzz in the Meadow“.
Wenn der Nagekäfer zweimal klopft
Das geheime Leben der Insekten
Dave Goulson, Sabine Hübner – Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (22. Februar 2016)
Gebunden, 320 Seiten, EUR 19,90
ISBN-13 978-3446447004
Diesem Buch merkt man an, dass der Autor nicht nur Spaß an seiner Forschung hat, sondern diesen Spaß – zusammen mit fundierter Information – auch bis in die kleinsten Details zu vermitteln weiß. Schon sein Hummelbuch „Und sie fliegt doch“, hat mich so sehr fasziniert, dass ich seitdem sehr viel wacheren Auges durch die Natur und vor allem Stadtnatur gehe.
„Hummelpapst“ Dave Goulson – von Kindesbeinen an Naturschützer und Verhaltensforscher – ist einer der weltweit versiertesten Insektenexperten. Der englische Professor für Biologie hat sein ganzes Leben dem Schutz der Insekten und der Wichtigkeit von Biodiversität gewidmet. Auf seinem Bauernhof in Frankreich renaturiert er ehemals landwirtschaftliche Flächen und schafft in seiner Freizeit insektenfreundliche Biotope.
„Ich habe Chez Nauche im Jahr 2003 gekauft … Das Haus wurde vor ungefährt 160 Jahren gebaut … durch die Nachlässigkeit des Vorbesitzers … wimmelt das Haus und die angrenzenden Gebäude von Leben. Viele – reagieren entsetzt, wenn sie eine Assel auf dem Teppich oder eine Ameise in der Küche entdecken. Von dieser Furcht sollte man sich in Chez Nauche schleunigst verabschieden, sonst ist ein Nervenzusammenbruch vorprogrammiert. Das Haus ist über die Jahrzehnte praktisch mit seiner Umgebung verschmolzen.“
Das von ihm gegründete „Bublebee Conservation Trust“ informiert und animiert Menschen in aller Welt zu Renaturierungsmaßnahmen, die helfen sollen, das Aussterben der bestäubenden Insekten zu verhindern. Beim begeisterten Verfassen von Newslettern für seine Sache entdeckte er seine Lust am Schreiben. So entstand „A Buzz in the Meadow“ – der Originaltitel dieses Buches.
Im Plauderton erzählt er in Episoden – die mit einem amüsanten kurzen Protokoll seiner morgendlichen Laufrunden in der Umgebung des französischen Bauernhofes beginnen – von dem uns meist unbekannten Verhalten so unterschiedlicher Spezies wie Schmetterlingen, Gottesanbeterinnen, gemeinen Schmeißfliegen, Wespen und Zweiflüglern – aber auch von Molchen, Treibhaus- und Wiesenblüten.
Der Autor nimmt uns mit auf eine Reise durch die unglaublich vielfältige Welt der Insekten, deren Entstehungsgeschichte und Klassifizierung, extreme Verhaltensformen wie sexuellen Kannibalismus aber auch Vererbungslehre: Gendrift und Selektion am Bespiel von Schmetterlingen und letztendlich das arterhaltende Zusammenwirken zwischen Pflanzen und Tieren.
Mit klaren Worten beschreibt er komplexe Zusammenhänge: „Der Vorteil der Metamorphose besteht darin, dass sie eine Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Stadien des Lebenszyklus ermöglicht. Der Körper der Larve wurde durch die Evolution immer weiter auf möglichst schnelles Wachstum hin optimiert, während er vollkommen andere Körperbau des adulten Tieres für die Paarung ausgelegt ist. …“
Mitunter hat man den Eindruck, dass die erzählerischen Abschweifungen endlos sind, jedoch gelingt es ihm nicht nur immer wieder den roten Faden zu finden, sondern dem Leser erschließt sich nach und nach, was dem Autor mit diesem Buch am meisten am Herzen liegt: nämlich uns die Augen zu öffnen, für die allumfassenden Zusammenhänge in der uns umgebenden Natur.
Dies besonders in den letzten Kapiteln des Buches, die auf mich wie ein erschreckender Mahnruf wirken und sich vom Rest des Buches grundlegend unterscheiden. Zuerst wollte ich das Buch weglegen, so sehr war ich geschockt. Jedoch ist es wichtig zu begreifen, dass der Mensch das effektivste Raubtier auf unserem Planeten ist und seit Zigtausenden von Jahren andere Spezies verdrängt und ausrottet.
„Viele unsere Legend erzählen von Drachen und Ungeheuern, Elfen, Kobolden und Trollen. Das sind keine Mythen – wir haben wirklich mal in einer Welt gelebt, die voll solcher Wunderwesen war. Was ist all diesen Kreaturen widerfahren? Warum sind sie alle in einem relativ kurzem Zeitraum ausgestorben? Die Antwort lautet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass wir sie getötet und aufgegessen haben. Unsere 80000 Jahre währende Reise war eine einzige kulinarische Odyssee.“
Nur kann der Mensch nicht ohne den Menschen – und schon gar nicht ohne die Natur und die anderen darin lebenden Spezies existieren. Das beginnt bei Pflanzen, Algen, Bakterien und Mikroben und hört bei Wirbellosen und Insekten auf. Vielfach hingewiesen wurde auch von anderen bereits auf das Bienensterben und die damit verbundenen Gefahren für die Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen.
„Ich behaupte keine Sekunde lang, dass Neonicotinoide für Bienen, Hummeln oder andere wild lebende Tiere heutzutage das einzige Problem darstellen. Der Rückgang der Bienen ist zweifellos eine Mischung aus verschiedenen Faktoren, vermutlich gehören dazu Seuchen, die Varroa-Milbe (im Fall der Honigbienen), der Mangel an Blüten, die abwechslungsarme Ernährung und schließlich die Auswirkungen verschiedener Pestizide – ein folgenschwerer Faktor von Stressfaktoren.“
Man sollte den Beteuerungen des Marketings nicht auf den Leim gehen, zu glauben, dass Gentechnik, Chemie und Pharma immer wieder verträgliche Lösungen bereitstellen werden, denn bisher haben alle Effizienzmaßnahmen der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie nur dazu geführt, dass immer prekärere Verhältnisse entstanden. Biodiversität – die Vielfalt von Arten und Lebensräumen – in Kombination mit integriertem Pflanzenschutz ist der einzig nachhaltige Weg.
Obwohl das Buch gänzlich ohne Bilder auskommt, meine ich, dass es mit seinem lockeren Erzählstil auch für Jugendliche geeignet ist. Es wird einerseits Vielfalt und Komplexität vermittelt, andererseits aber auch Mut gemacht „die Welt zu retten“. Einige längliche Passagen mit Studien habe ich überblättert. An einigen Stellen schienen mir – übrigens auch im englischsprachigen Original – technische Beschreibungen nicht nachvollziehbar genug. Trotz dieser kleinen Mängel hat das Buch einen festen Platz in meinem Regal gefunden.