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Buchbesprechungen – keine Verrisse …

Der Erzählinstinkt

Ende gut, alles gut …

Den Fernseher ausschalten, am Lagerfeuer sitzen, Kindheitserinnerungen: „Erzählen ist die wichtigste Form menschlichen Denkens“ behauptet Werner Siefer, Diplom-Biologe und Autor des Bestsellers: „Ich, Wie wir uns selbst erfinden“ in seinem neuen Buch: „Der Erzählinstinkt – Warum das Gehirn in Geschichten denkt“.

Der Erzählinstinkt
Warum das Gehirn in Geschichten denkt
von Werner Siefer
Carl Hanser Verlag, 2015
Gebunden, 250 Seiten
ISBN 978-3446444737
13,4 x 2,7 x 21,2 cm

Intentionalität unterscheidet uns vom Affen – das Erkennen von Absicht, der Gebrauch von Gesten und Symbolen ist der Schlüssel menschlicher Kommunikation und entwickelt sich bereits bei Kleinkinden. Mit Hilfe von Studien der Entwicklungs-, Verhaltens- und Hirnforschung erläutert Werner Siefer in den ersten Kapiteln des Buches sehr anschaulich und gründlich, wie der Mensch zum Erzähler, zum „Homo Narrens“ wurde.

Sprache und Werkzeuge sind die Grundlagen für das soziale Miteinander und das Entstehen von Kultur schlechthin. Der Mensch braucht die Gruppe zum Überleben. Die Gruppe braucht den gemeinsamen kulturellen Hintergrund und der ensteht durch Geschichten, die für die Gesellschaft wie ein sozialer Kompass wirken. Die Hopi-Indianer sagen: „Der die Geschichte erzählt, regiert die Welt.“

Geschichten wirken nicht nicht nur beziehungsfördernd und agressionshemmend auf die Individuen einer Gruppe, sondern befriedigen das urmenschliche Bedürfnis nach „poetischer Gerechtigkeit“, die sich sehr schön in Hollywoods Happy Endings zeigt, genauso wie in der lustvollen Lektüre von Dramen und Romanen die unsere Sozialkompetenz schärfen und unser Empathievermögen steigern.

Im mittleren Teil des Buches geht es um die Strukturen und Wirkweisen von Erzählungen: Wie eine gute Dramaturgie unsere Aufmerksamkeit lenkt und das Chaos unserer Wahrnehmung ordnet. Ein wichtiges Mittel hierbei ist das Herausarbeiten des „Besonderen im Gewöhnlichen“. Geschichten bedürfen der Interpretation und können unterschiedliche Wahrheitsebenen enthalten: „Fiktion ist zweimal so wahr wie Realität.“

Das autobiografisches Denken bedarf der Worte. Nur worüber man spricht oder schreibt, bleibt im Gedächtnis haften. Erinnerungs- und Klärungsgespräche in der Familie und unter Freunden lassen einen das eigene Tun ins rechte Licht rücken. Life-Scripte leben von der narrativen Flexibilität. Hierbei gibt es kulturell bedingt unterschiedliche Formate und Konventionen.

Eine besondere Kategorie hierbei sind die „Meistererzählungen“, der Stoff aus dem die Träume sind: Erlösungsdramen und Heldenepen, von Jesus Christus bis John Wayne. Vor allem haben autobiografische Inhalte eine medizinische erwiesene Heilkraft: sich den Schmerz von der Seele schreiben, durch die richtigen Worte die eigene Handlungsmacht wiederentdecken. Erzählen bedeutet Bewegung, Entwicklung und Veränderung: „re-story yourself!“

Am Ende des Buches schlägt Werner Siefer noch einmal den ganz großen Bogen und regt unsere Visionen an, wenn er die derzeitigen Krisen unserer Welt als große Chance nimmt, die nationalen und internationalen Geschichten neu zu erzählen, und unerwarteten Wendungen zuzuführen. Dabei hegt er für Europa große Hoffnungen.

Dieses Buch habe ich gern gelesen, streckenweise verschlungen, an manchen Stellen auch einzelne Studien überblättert, jedoch immer wieder augenöffnende und überraschende „Goldkörner“ gefunden. Die Worte sind gut gewählt, die Sätze gut gebaut, die Schrift ist gut lesbar und das Papier fühlt sich gut an. Lesebändchen vermisse ich auch in gebundenen Exemplaren immer häufiger …

Jeder, der Bücher, Geschichten und Märchen liebt und sich näher mit dem Wieso und Warum des Storytelling auseinandersetzen möchte, sollte dieses Buch aufschlagen. Vor allem geeignet für alle, die selbst etwas zu berichten und zu erzählen haben, die ihr Leben in Geschichten bringen, die Autobiografisches verarbeiten wollen. Aber auch Drehbuchautoren, Gesellschaftswissenschaftler und visionäre Politiker finden hier anregende geistige Nahrung.

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