DREAMBOOK

Buchbesprechungen – keine Verrisse …

1Q84. Buch 1+2

In einem Rausch durchlesen…

Ich bin ein begeisterter Murakami-Leser, und habe 2008 – nach der Lektüre von „Kafka am Strand“ zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass ich alle Bücher eines Autoren kennenlernen wollte. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich sie gelesen. Auch habe ich alle verfügbaren Rezensionen darüber gelesen, bevor ich mich zu 1Q84 äußern möchte. Soviel vorweg …

1Q84. Buch 1&2
Roman von Haruki Murakami
aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
DuMont Buchverlag, 2010
Gebunden, 1024 Seiten
1,.8 x 4,5 x 21,3 cm
ISBN 978-3832195878
EUR 32,-

Wer die Filme „Inception“ oder „Matrix“ gesehen hat, weiß um die Faszination des Wechsels zwischen unterschiedlichen Bewusstseins- und Wirklichkeitsebenen. Denken, Handeln, Wachen, Träumen und Sterben. Murakami ist ein literarischer Meister im Wandern zwischen diesen Ebenen. Durch das Kontrastieren von Alltags- und Grenzsituationen entstehen Spannungsbögen von unglaublichem Realismus.

Auch wenn die gesamte Geschichte strukturell sehr stringent im erzählerischen Wechsel der beiden Protagonisten aufgebaut ist und man den Ausgang des Ganzen am Anfang bereits ahnt, ist das was dazwischen auf den einzelnen Seiten passiert so spannend präsentiert, dass man das Buch am liebsten in einem Rutsch – beziehungsweise in einem Rausch – durchlesen möchte.

Der Leser identifiziert sich sehr schnell mit den Protagonisten und bleibt in ihnen. Wie in fast allen Büchern des Autors spielt metaphysischer Sex eine wichtige Rolle: Sex nicht um seiner selbst willen, sondern um zu höheren Einsichten über den Sinn des Lebens zu gelangen.

Der magische Realismus von Murakami ist unverwechselbar im Stil. Obwohl er einen der Protagonisten in 1Q84 sagen läßt: „Die Bedeutung geht verloren, wenn man sie in Worte fasst.“, ist es genau das was der Autor beherrscht: mit Worten ein sehr dichtes Bedeutungs- und Beziehungsgeflecht weben. Jedes Ding, jede Handlung ist bedeutungsschwanger: „Sie verwendete in etwa so viel Zeit und Sorgfalt auf das Bestreichen der Toastscheibe, wie wahrscheinlich seinerzeit Rembrandt auf das Malen einer Gewandfalte.“

Viele Passagen dieses Buches sind poetische Prosa, reinste Aphorismen: „Ursache und Wirkung folgen nie unittelbar aufeinander, sondern stets in versetzter Form… Und wenn das Zahnrad sich einmal weiterbewegt hat, lässt es sich nicht mehr zurückdrehen.“ Erst nach der Lektüre mehrerer Bücher von Murakami ist mir aufgefallen, dass sie alle eine taoistische Grundlage haben: Die ganze Welt ist hier und jetzt im ständigen Wandel miteinander verbunden.

Was ich immer am meisten bewundert habe, ist die Fähigkeit des Autors – durch genaues Hinsehen – sehr komplexe Assoziationsketten, die Menschen in Bruchteilen einer Sekunde durch den Kopf gehen, über mehrere Seiten detailliert und faszinierend zu beschreiben und zwar in einer Form die den Leser bannt, statt ihn zu langweilen. Dadurch werden die handelnden Figuren so plastisch, dass man das Gefühl hat, man selbst würde in ihnen stecken und die Geschichte des Lebens schreiben.

Dieses Gefühl beruht nicht nur auf stilistischen Mitteln, sondern liegt auch in der Geschichte selbst. Benutzt werden Archetypen und uralte Märchen, zu denen jeder Mensch seinen persönlichen Zugang findet. Es geht um Leben und Sterben, Liebe und Sinn, Schicksal und Bestimmung, Bedeutung und Ausdeutung.

Schlußendlich lässt uns der Autor jedoch immer wieder das ewige letzte Rätsel spüren, das sich jeglicher Diskussion und Spekulation entzieht. Wie ein Vexierbild, das je nach Betrachtungswinkel seine Bedeutung ändert. Wie eine Unschärfe, die dadurch entsteht, dass man zu sehr fokussiert: „Dennoch war ich nicht imstande ihre Bedeutung zu erfassen, gerade weil sie so zentral war.“

Mein Kompliment an den Verlag und die Buchbinder, die das Buch im Design und in der Substanz hochwertig ausgestattet haben und es zu einem fast bibliophilen Lesegenuss machen. Die Wahl von Papier und Typografie sind optimal, die Bindung ermöglicht leichtes Umblättern und Lesen an jeder Stelle dieses doch sehr dicken Buches.

Und was wäre das Buch ohne die exzellente Übersetzung von Ursula Gräfe? Ich kann zwar kein Japanisch, merke jedoch, dass der Text viel von der Einfachheit und Klarheit ausstrahlt, die wir gemeinhin mit Japan verbinden.

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